Donnerstag, 26. November 2015

Johann Carl Bertram Stüve

"Befreier der Bauern" & "Wohltäter der Armen"

 
Am 24. November 2015 hatten wir in Ruppe Kosellecks Seminar "Erinnern und Vergessen" den wohl bekanntesten Osnabrücker Bürgermeister zu Gast. Dadurch ergab sich für uns die Möglichkeit, ein ausführliches und interessantes Interview mit ihm zu führen.

Studentin: Hallo Herr Johann Carl Bertram Stüve, es ist mir eine Ehre Sie heute begrüßen zu dürfen.

Herr Stüve: Vielen Dank, ich freue mich sehr heute hier zu sein.

Studentin: Herr Stüve, Sie waren einer der wohl beliebtesten und sind immer noch der bekannteste Bürgermeister Osnabrücks. Können Sie und etwas zu ihrer Person erzählen?

Herr Stüve: Ja, natürlich. Ich wurde am 4. März 1798 hier in Osnabrück geboren und hier starb ich dann auch im Jahre 1872. Ich war Jurist, Historiker, Politiker und eben auch Bürgermeister meiner Heimatstadt Osnabrück. Zudem war ich Abgeordneter der Ständeversammlung im Königreich Hannover und liberaler Innenminister des sogenannten Märzministeriums in Hannover. 

Studentin: Das ist wirklich sehr beeindruckend. Können Sie uns vielleicht noch etwas zu Ihrem familiären Hintergrund verraten?

Herr Stüve: Aber sehr gerne doch. Ich bin das jüngste von fünf Kindern aus der Ehe von Heinrich David Stüve und Margarethe Agnes Berghoff. Ich besuchte das Ratsgymansium, wo ich 1817 meinen Abschluss machte. Ich stamme aus einer angesehenen Politikerfamilie. Bereits mein Vater Heinrich Stüve und auch mein Großvater Johann Eberhard Stüve waren Mitglieder des Osnabrücker Stadtrats. Mein Vater war darüber hinaus auch der erste Bürgermeister Osnabrücks. Er war neun Jahre im Amt, von 1804 bis zu seinem Tod im Jahre 1813.


Studentin: Sie zogen dann 1817 nach Berlin, was machten Sie dort?

Herr Stüve: In Berlin begann ich mein Jurastudium, wechselte dann aber nach Göttingen und wurde dort 1820 promoviert. Sowohl in Berlin als auch in Göttingen gehörte ich Burschenschaften an. In Berlin war ich 1818 Mitbegründer der Alten Berliner Burschenschaft. Ich zog dann aber aus lieber zu meiner verwitweten Mutter zurück nach Osnabrück und arbeitete hier als Anwalt. Obwohl ich gerne Jura-Professor geworden wäre.

Studentin: Können Sie uns vielleicht noch mehr zu ihrer politischen Karriere verraten?

Herr Stüve: Natürlich, meine politische Karriere begann 1824 als Abgeordneter der Stände-versammlung in Hannover, wo ich meinen ersten großen Erfolg mit einem staatlichen Schuldenerlass für Osnabrück erzielte. In dieser Zeit waren die Bauern im Osnabrücker Land dem Gutsherrn mit Leib und Leben verpflichtet. Nur ein Freibrief gab ihnen Unabhängigkeit.

Studentin: Das bringt mich zum nächsten Thema. Sie gelten ja auch als der Befreier der Bauern. Wie kam es dazu?

Herr Stüve: Die Bauern waren mir schon immer sehr wichtig und so entwarf ich das Hannoversche Ablösungsgesetz, welches inzwischen als ein politisches Meisterstück gilt. Ich war zu der Zeit Schatzrat und Mitglied der Ständeversammlung in Hannover, ich veröffentlichte mein Buch über die Lasten des Grundeigentums und legte die Ablösungsverordnung vor, die den abhängigen Bauern die Freiheit bringen sollte. Sie trat am 22. Juli 1833 in Kraft. Ich sehe mich als Reformer und zudem arbeitete mit am Staatsgrundgesetz von 1833 für das Königreich Hannover.

Studentin: Und was bewirkte dieses neue Grundgesetz?

Herr Stüve: Dieses „Grundgesetz“ eröffnete sowohl dem Bürgertum als auch dem Bauernstand den Zugang zur Zweiten Kammer der Ständeversammlung. Darüber hinaus wurde eine beschränkte Minister-Verantwortung eingeführt sowie die Generalsteuerkasse mit der bisher dahin unabhängigen Königlichen Generalkasse zu einer einheitlichen Steuerkasse zusammengeführt, die dann dem Haushaltsrecht der Ständeversammlung unterworfen war.

Studentin: Aber König Ernst August beseitigte die ständisch-liberale Verfassung 1837 durch Verfassungsbruch. Was taten Sie dagegen?

Herr Stüve: Ich reichte im Namen der Stadt Osnabrück dagegen Verfassungsbeschwerde beim Deutschen Bund ein, doch die Verfassung wurde erst 1848 nach der Märzrevolution wieder in Kraft gesetzt. Ab 1841 hinderte mich die hannoversche Regierung an der Wahrnehmung meines Landtagsmandats. Ich durfte Osnabrück nun nur mit Genehmigung länger als drei Tage verlassen. Ich lehnte es aber ab, die Erlaubnis zu erbitten. So widmete ich mich meinem Amt als Verwaltungsbürgermeister von Osnabrück, in das ich 1833 einstimmig von der Osnabrücker Bürgerschaft gewählt worden war. Dieses Amt hatte ich bis 1848 inne.

Studentin: König Ernst August versuchte die Auswirkungen der Märzrevolution zu begrenzen, indem er Sie dann als Innenminister in die Märzregierung Graf Bennigsens berief. Wozu nutzen Sie dieses Amt?

Herr Stüve: Zunächst einmal schaffte ich die Zensur ab, beseitigte Standesvorrechte, trennte Justiz und Verwaltung und reformierte Verwaltung und Gemeinden. Meine Reformen blieben auch nach dem Rücktritt der Märzminister im Oktober 1850 bestehen, bis sie 1855 unter König Georg V. aufgehoben wurden. Ich kehrte 1850 nach Osnabrück zurück, widmete mich zunächst historischen Veröffentlichungen, und wurde 1852 erneut zum Bürgermeister gewählt. 

Studentin: Zurück in Osnabrück nahmen Sie dann aber eine zunehmend konservative Haltung ein. Nach Auseinandersetzungen mit dem Bürgervorsteherkollegium gaben Sie ihr Amt 1864 endgültig auf und traten zurück?!

Herr Stüve: Das ist richtig. Ich war in zwischen alt geworden und wollte mich zurückziehen. Ich starb 1872 und wurde auf dem Hasefriedhof in Osnabrück beigesetzt. Was ist denn eigentlich in den Jahren nach meinem Tod geschehen?
 
Studentin: Bis in die heutige Zeit sind Sie einer der bekanntesten Osnabrücker Bürgermeister. Die Historiker beschreiben Sie immer noch als „Vater der Armen und der Bauern“, wobei Sie früher sowie heute als ein tatkräftiger „Mann des Volkes“ bekannt sind. Und so wandte sich bereits kurz nach Ihrem Tode ein bürgerliches Komitee an „alle Vaterlandsfreunde ohne Unterschied der politischen Partei und religiösen Gesinnung“, um Ihnen ein Denkmal zu errichten. Zur Ausführung kam der Entwurf des Iburger Bildhauers Heinrich Pohlmann.

Herr Stüve: Wer war denn dieser Herr Pohlmann?

Studentin: Heinrich Pohlmann wurde am 24. Oktober 1839 in Scheventorf bei Bad Iburg geboren und war der Sohn einer Bauernfamilie. Während seiner Zimmermannslehre fiel einem Adjutanten des Königs von Hannover Pohlmanns Talent bei der Anfertigung von Schnitzereien auf. Er verhalf Pohlmann zu einer Förderung, die diesem von April 1861 bis Ende 1864 den Besuch der Akademie der Künste in Berlin ermöglichte. Gefördert durch das Stipendium des Königs von Hannover konnte Pohlmann zudem 1866 eine Studienreise nach Italien antreten. Zurück aus Italien machte er sich 1867 in Berlin als Plastiker selbständig und erhielt 1870 den kaiserlichen Auftrag zu einer Reiterstatuette Wilhelms I, die diesem von der Kaiserin Augusta im März 1871 geschenkt wurde. Weitere öffentliche Aufträge für Denkmäler und Bauplastiken folgten (genau wie Ihre Statue, die im Jahr 1882 errichtet wurde). Außerdem schuf er zahlreiche Porträts und Grabplastiken, wobei insbesondere die Grabplastiken weite Verbreitung fanden. Am 30. August 1917 starb der 78-jährige Pohlmann in Berlin und gilt heute als ein bekannter Denkmalskünstler.

Herr Stüve: Ja, dem Herrn Pohlmann ist das Denkmal wirklich gut gelungen. Besonders ähneln die Gesichtszüge sehr den meinen. Können Sie mir noch mehr zu dieser gelungenen Statue erzählen?


Studentin: Zu Ihrem zehnten Todestag, am 17. September 1882, wurde das Stüve-Denkmal auf dem Osnabrücker Rathausplatz enthüllt. Auf hohem Sockel aus Sandstein (geschätzt 3-4 Meter hoch) stand die Bronzefigur von Ihnen (dem prominenten Historiker, Innenminister, Sozialreformer und langjähriger Bürgermeister) in Über-Lebensgröße. Ihre rechte Hand ist leicht erhoben, in der linken halten Sie ein Buch. Dem Betrachter ist ohne nähere Erklärung oft nicht verständlich, was Pohlmann mit dieser Haltung ausdrücken wollte: Die leicht erhobene rechte Hand bedeutet eine Geste, die Sie während der Reden an die Bauern und Bürger meist zeigten. Das Buch in der anderen Hand zeigt sinnbildlich Ihre reiche schriftstellerische Tätigkeit.  Die beiden Schriftstücke auf dem rückwärtigen Eichenstumpf tragen die Jahreszahlen 1831 (Ablösungsgesetz) und 1833 (Staatsgrundgesetz). Beide sind ja, wie sie schon selbst zuvor erläuterten, Ihrem politischen Einfluss zu verdanken. Dass die Eiche als Symbol genutzt wurde liegt nahe: In der Romantik (also während Ihrer Lebenszeit) wurde die Eiche ein Symbol der Männlichkeit, Treue, Standhaftigkeit, Beständigkeit und verbunden mit der Entwicklung des ersten deutschen Nationalstaates auch zum deutschen Symbol. Zeitgleich wurde die Eiche in Deutschland zum Symbol des Heldentums und das Eichenlaub wurde als Siegeslorbeer verwendet.


"als Befreier der Bauern"
Auf dem Sockel befanden sich zudem zwei Reliefplatten, die Motive aus Ihrem Leben darstellten. Die eine Bronzetafel ist betitelt mit „Befreier der Bauern“, die andere mit „Wohltäter der Armen“. Stüve als „Bauernbefreier“ erinnert an Ihre Initiative für die Ablösungsverordnung in Hannover vom Jahr 1833, womit die leibeigenen Bauern sich endlich aus der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit vom Grundherrn befreien konnten.


"als Wohltäter der Armen"

 

Stüve als „Bürgerfreund“ bezieht sich hauptsächlich auf Ihre Rolle als sozialer Wohltäter. Sie kümmerten sich während Ihrer Amtszeit als Bürgermeister intensiv um die Modernisierung der Stadt (Eisenbahnbau, Gaswerk, Kanalisation) aber auch um den Bau des ersten Krankenhauses vor dem Heger Tor. Auf der zweiten Relieftafel sieht man neben Ihnen außerdem den alten Ratsdiener Landmeyer (mit dem Aktenkoffer) von dem die selbstbewusste Osnabrücker Redensart überliefert ist "Ick un de Bürgermeester", weil er unter sechs Bürgermeistern seines Amtes gewaltet hat.

Herr Stüve: Und wo sind die Platten heute? Bzw. warum stehen wir jetzt gerade hier vor der Volkshochschule und nicht auf dem Marktplatz vor dem Osnabrücker Rathaus?


Studentin: Über ein halbes Jahrhundert erinnerte das Denkmal auf dem Marktplatz an Sie, den berühmten „Bauernbefreier“ und „Bürgerfreund“. Doch 1935 entfernten die Nationalsozialisten das Denkmal, da es „verkehrshindernd bei Kundgebungen“ war. Das Denkmal musste somit den Parteiaufmärschen der NSDAP weichen. Fortan schaute Ihre Statue von der neuen Promenade auf dem damaligen Kaiserwall (heute Natruper-Tor-Wall oder Hasetorwall) auf Osnabrück. Hier blieb die Statue einige Jahre auf ihrer Wanderung stehen. 1943 stuften die braunen Machthaber die Plastik als künstlerisch wertlos ein und bestimmten ihre Einschmelzung. Doch mutige Osnabrücker verbargen die Statue geschickt im Kokskeller des OsnabrückerMuseums. Bereits 1948 konnte es wieder aufgerichtet werden, zunächst jedoch nur im Garten des Museums. Im Jahr darauf, zum 150. Geburtstag Stüves, zog es in die Grünanlage vor dem Heger Tor. 1968 musste es abermals dem Verkehr weichen und erhielt seinen heutigen (wohl endgültigen) Platz vor der Volkshochschule, dem „Stüve-Haus“.


Herr Stüve: Die Statue ist zwar nicht mehr so präsent wie früher auf dem Rathausplatz, doch ich bin mit dem Platz trotzdem sehr zufrieden und ich fühle mich geehrt, dass es nach so vielen Jahren immer noch existiert und an mich gedacht und erinnert wird!



           Studentin: Ja, hier vor dem Stüvehaus, welches unter Ihrer Anregung und Anleitung bis 1864 gebaut wurde und als Krankenhaus diente, ist der Platz Ihres Denkmals auch meiner Meinung nach gut gewählt. Wir gedenken aber noch an anderen Orten an Sie, die Stüvenbrede im Fledder und auch die Stüvestraße am Hasetorwall sind nach Ihnen benannt. Außerdem wurde nach Ihnen die Stüveschule, eine Grundschule in Schinkel, benannt. Nach ihrer Renovierung sollten die zwei Bronzeplatten, die heutzutage ganz versteckt im Durchgang zum Steinwerk in der Dielinger Straße 13 hängen, am Schulgebäude anbracht werden, um an Ihre ehrenvolle Tätigkeiten erinnern. Allerdings konnten die Platten nicht von den Wänden der Häuser entfernt werden, weshalb die Schule schließlich zwei Abgüsse der beiden Platten als Geschenk der Stadt bekam.

 
 
Mavisen Melek & Pia van Alebeek
 

für das Seminar ERINNERN UND VERGESSEN 

der Universität Osnabrück

 
 
 

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